Pontos – Geschichte

I Klostí – Ein Volk christlichen Glaubens unter fremder Herrschaft

Zusammenstellung: Monika Weiland

Dem Historiker Konstantínos Fotiádis verdanken wir eine genaue Untersuchung der Geschichte des Pontos seit dem 13. Jahrhundert. Über die historischen Fakten zur wirtschaftlichen und politischen Entwicklung hinaus hat er in seiner Dissertation: "Die Islamisierung Kleinasiens und die Kryptochristen des Pontos" auch viele Schilderungen aus dem Alltag der Bevölkerung zusammengetragen.
Wir versuchen hier einen Eindruck vom Leben der so genannten Kryptochristen, der in der islamischen Welt Eingeschlossenen (klostí) zwangsislamisierten Pontos-Griechen christlichen Glaubens zu erwecken, indem wir uns auf das Werk von Konstantínos Fotiádis stützen.
Darüber hinaus haben wir Teile aus dem Buch "I Klostí" von Geórgios Andreádis übersetzt.

Die Zwangsislamisierung

Die mit der Eroberung des pontischen Gebietes durch die Turkvölker etwa ab dem 14. Jahrhundert n. Chr. (erst durch Seldschucken, später durch Osmanen) verbundene Islamisierung dieser Region hatte entscheidende Auswirkungen auf das Leben der griechischen Christen im Pontos. Einige hielten trotz der Repressalien offiziell am christlichen Glauben fest. Insbesondere im 16. und 17. Jahrhundert bezahlten jedoch viele dieser so genannten Neomärtyrer ihren Widerstand mit dem Leben, denn der Koran fordert beim Abfall vom Islam die Todesstrafe.
Viele Griechen konvertierten deshalb zum Islam und nahmen zum Beweis einen türkischen Namen an. Heimlich jedoch trugen sie einen zweiten, einen christlichen Namen und blieben dem christlichen Glauben und seinen Ritualen treu.

 

Heimliche Christen

Diese heimlichen Christen befolgten äußerlich die Riten des Islam, sie besuchten die Moschee und achteten den Ramadan etc. In ihren Häusern jedoch waren sie praktizierende Christen. Daraus resultierte ein hoch kompliziertes und widersprüchliches Alltagsleben.
Die religiöse Erziehung war die Aufgabe der Mütter. Sie vermittelten den Kindern, die tagsüber in islamischen Schulen den Koran lernten, abends den christlichen Glauben – und mussten die Kinder davon überzeugen, diesen geheimen Glauben geheim zu halten.
Eheschließungen waren hoch problematisch, insbesondere für die Töchter der Kryptochristen, da sie – weil sie offiziell dem Islam angehörten – keine Christen ehelichen durften, während sie andererseits – da sie tatsächlich aus christlichen Familien stammten – keinen Angehörigen der islamischen Glaubensgemeinde heiraten konnten. Praktisch bedeutete dies in Regionen, wo die Zahl der Kryptochristen gering war, dass die Eltern versuchten, die Existenz von Töchtern zu verheimlichen, wenn es ihnen nicht gelang, sie schon in sehr jungen Jahren, teilweise erst sechsjährig, einem Gatten aus den eigenen Reihen zu versprechen, denn es war ungemein schwierig, gute Gründe zu finden, Anträge von islamischen jungen Männern bzw. deren Familien abzuweisen, ohne verdächtig zu werden.
Kompliziert waren auch Bestattungen, und es war vielfach Brauch, die Toten nach der islamischen Beisetzung heimlich und unter vielen Risiken wieder auszugraben, um sie auf christliche Weise zu bestatten.

 

Die Kryptochristen im Pontos

Die folgende Übersetzung entstammt dem Buch I Klostí (die Eingeschlossenen) von Geórgios Andreádis, erschienen in Athen 1993. Die Bezeichnung "Klostí" meint die "Kryptochristen", die heimlichen Christen im Pontos. Die Übersetzung erhebt keinen Anspruch auf Exaktheit und ist vielfach geleitet vom tiefen Verständnis des Inhaltes.

Das Dorf Krómni

Die beiden ausgewählten Kapitel mögen einen Eindruck davon vermitteln, wie es den Christen von Krómni, einer Gruppe von Dörfern etwa 70 km südlich von Trapesunt (heute: Trabzon) gelegen, gelang, trotz Zwangsislamisierung ihren Glauben aufrechtzuerhalten. (Der Name Krómni ist vermutlich vom dem griechischen Wort kremó (hängen) abgeleitet; er beschreibt die Lage der Ansiedlungen, die an den steilen Hängen tatsächlich zu hängen schienen.)
Bis zum 17. Jahrhundert lebten dort friedliche muselmanische Bauern und die Arbeiter der Erzbergwerke. Die Bergwerke gehörten dem Sultan. Die Region war zwar reich an Bodenschätzen, aber unwirtlich und unwegsam, deshalb genossen die Einwohner viele Privilegien, um diesen Standort attraktiv für die Menschen zu machen und damit die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben.
Im 18. Jahrhundert kamen immer mehr christliche Familien aus den umliegenden christlichen Dörfern nach Krómni, denn sie fanden dort Arbeit, und das Verhältnis zu den Muselmanen schien ihnen viel menschenwürdiger als in den Gegenden, aus denen sie stammten, da mit der Gewährung der Privilegien gleichzeitig viel mehr Toleranz verbunden war.

Die christliche Periode (Vorgeschichte)

Als Kaiser Konstantin der Große 325 n. Chr. das Christentum zur offiziellen Religion des Staates erklärte, gab es in der Region von Krómni keinen Menschen, der nicht Christ gewesen wäre. Etwa 200 Jahre lebten die Einwohner friedlich als Christen, bis der König von Persien, Hosróis der Große, im Jahre 491 n. Chr. in Konflikt mit Kaiser Justinus geriet. Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden fanden viele Male rund um Trapesunt statt und hatten zur Folge, dass viele Bewohner von im Laufe der Kämpfe zerstörten Dörfern in die Bergregion von Krómni flüchteten. Dort, verborgen und unzugänglich, errichteten sie ihre Siedlungen, um weit weg von den persischen Invasionen zu sein.
Man nimmt an, dass die Ortsbezeichnung "Krómni" in dieser Zeit entstand. Das heißt, der Ausdruck "kremós" verwandelte sich mit den Jahren zu "Krom" und "Krómi", und die Bewohner nannten sich "Kromét" oder "Kremét". Im vergangenen Jahrhundert führten die Gelehrten die griechischen Schreibweisen für "Krómni" und "Kromnäi" ein, um den griechischen Ursprung des Namens deutlich zu machen.
Die Burgen und Befestigungen beschäftigten zwangsläufig viele Menschen, die dort als Grenzwächter lebten. Viele Flüchtlinge ließen sich in Krómni nieder, wo sie Sicherheit, Ruhe und Frieden suchten und fanden.
Nach Heraklit wurde Byzanz im 7. Jahrhundert in Provinzen aufgeteilt und Krómni gehörte zum Verwaltungsgebiet Chaldhía, der 21. Provinz des Kaiserreichs. Es wurden große Befestigungen angelegt, und Krómni und der gesamte Pontos bildeten den Ausgangspunkt für die Angriffe der Byzantiner gegen die Perser. In dieser Zeit entstand ein neuer, aggressiver und räuberischer Charakter der Menschen, der Angst und Schrecken in den umliegenden, nicht-kromnäischen Dörfern verbreitete.

Die Heimlichen von Krómni

Im 17. Jahrhundert gab es trotz des Reichtums, der durch die Arbeit in den Bergwerken gesicherten Lebensumstände und dem sicheren Auskommen der Einwohner in den Dörfern von Krómni weder eine Moschee noch eine Kirche. Lediglich die Ruine eines zerstörten persischen Klosters zeugte von einer vergangenen religiösen Epoche, außerdem gab es eine verfallene Kirche mitten im Zentrum von Krómni. Wie war es möglich, dass eine vollständig moslemische Bevölkerung nicht einmal eine Moschee besaß, wo die Gläubigen des Mohamed sich für ihre Gebete einfinden konnten? Nichts gab es und es schien, als sei dieser Ort nur von Ungläubigen bewohnt. Und doch hat es in keinem Ort jemals heiligere Gebetsstätten als in Krómni gegeben. Jedes Haus hatte eine heimliche Katakombe, einen versteckten Raum, wo ein jeder Kromnäer seine christlichen Pflichten erfüllen konnte, heimlich und verborgen vor den wenigen Osmanen, die als staatliche Beamte gemeinsam mit ihnen seit Jahrhunderten verwurzelt waren. Meist waren diese Katakomben im Souterrain gelegen und konnten nur durch eine Falltür erreicht werden. Der Raum war voll mit Ikonen und Öllampen. Dort versammelten sich die Christen zum Gebet und zur Ausübung der Sakramente.

Die Häuser der Kryptochristen unterschieden sich in nichts von denen der Osmanen. In der Regel waren sie zweistöckig gebaut. Die Brüstungen waren außen blau bemalt, mit geometrischen, einfachen Figuren und traditionellen, ebenfalls geometrisch angeordneten Blumenmustern verziert. Im unteren Stockwerk war der Stall, wo das Vieh untergebracht war. Die Tiere beanspruchten maximal die Hälfte der unteren Etage. Der übrige Teil war durch eine Mauer von dem Pferch abgetrennt und wurde als Lager genutzt. Hier befand sich auch der geheime Ort, die heimliche Kirchenstätte, der Ort für Gebete und andere christlich-religiöse Rituale.

Die Kleidung der Kryptochristen entsprach der edlen Tracht eines höher gestellten, echten anatolischen Moslems. Sie bestand aus dem stoffreichen, ausladenden Hosenkleid, das im Wind flatterte. In der Taille band ein Gürtel Hemd und Oberhemd zusammen. Die Weste verlieh der ganzen Aufmachung einen besonderen Glanz. Im Winter wurde ein prächtiger Umhang darüber getragen. Auf dem Kopf saß der unentbehrliche Fes, der Papách (eine Art Kopftuch, das um den Kopf gewickelt wurde) oder der Turban. Als (…) gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Kromnäer offiziell zum Christentum zurückkehrten, legten sie jene Kleidung ab, und in der gesamten Gegend waren überall die pontischen Pluderhosen präsent. Doch bis ins 20. Jahrhundert gab es Menschen, erklärte Christen, für die die schlichte pontische Kleidung nicht akzeptabel war. Sich auf edle osmanische Weise zu kleiden galt ihnen als Bestätigung ihrer sozial hoch gestellten Herkunft.

 

Der Molla Molasleimán

Molla ist der Titel eines mohammedanischen Gelehrten und Richters. Der Molla Molasleimán (geb. 1760 in Varenú, gestorben 1843) war ein Vorfahre von Geórgios Andreádis. Seine Großmutter war die Ururenkelin des Molla Molasleimán; ihre verbürgten mündlichen Berichte bilden die historische Quelle für Andreádis – vor allem, weil es an einer wissenschaftlich fundierten Geschichtsschreibung bis heute mangelt.
In ärmsten Verhältnissen bei den Kryptochristen geboren, erlangte Molla Molasleimán einen für damalige Zeiten sehr hohen Bildungsgrad und wurde dadurch zu einem geachteten Hodscha (mohammedanischer Lehrer und Richter) in Krómni, geachtet nicht nur wegen seines Wissens, sondern vor allem, weil er einer der Ihren war. Er spielte eine sehr wesentliche Rolle bei der Wahrung der griechisch-pontischen Identität. Später erlernte er die türkische Sprache, was die Verständigung und die Vermittlung zwischen den Interessen der "heimlichen" Christen und den Vertretern der herrschenden Staatsordnung erleichterte.

Das Haus des Molla Molasleimán, ein großer zweistöckiger Serail, befand sich in Varenú, einem der kromnäischen Dörfer. Es war an einen steilen Abhang gebaut, sodass die Hälfte des unteren Stockwerks in den Berg eingegraben war. Nur die Stalltür war ebenerdig. In die Kirche des Mollas gelangte man durch eine Falltür, deren Eingang in einem der oberen Zimmer gelegen war. Diese Falltür war immer verdeckt, damit sie kein unverhoffter Gast zufällig entdecken konnte. Wenn die Gebetsstätte benutzt werden sollte, wurde zuerst das Haus gesichert und danach die Falltür freigelegt, damit die Christen herabsteigen konnten. Diese Gebetsstätte war voll mit Ikonen und Öllämpchen. Der Molla Molasleimán war ordinierter christlicher Pope. Er war von Dhorótheos III (1764 – 1790), dem Bischof von Trapesunt, geweiht worden. Während Krómni kirchlicherseits dem Erzbistum von Chaldhía (wozu Arjirúpoli gehörte) beigeordnet war, unterhielten die Kryptochristen von Krómni aus Sicherheitsgründen Beziehungen zum entfernteren Erzbistum von Trapesunt. Die Stadt Arjirúpoli lag zu nah und war klein. Häufige Kontakte hätten die Gefahr bedeutet, entdeckt zu werden (…)

Die Ikonen dieser heimlichen Kirche wurden mit den Jahren unter die Nachkommen verteilt und gingen entweder verloren, oder es herrscht Ungewissheit über ihr Schicksal. Nur eine einzige dieser Ikonen ging an meine Großmutter über und von ihr an mich (Geórgios Andreádis). Sie stellt den Erzengel dar, wie er, auf einem Tablet, das Haupt von Johannes dem Täufer in seinen Händen hält. Viele Male und auch heute noch starre ich diese Ikone flehentlich an, damit sie mir erzähle, was sie in jener Katakombe von Krómni in jener Zeit gesehen und erlebt hat. (…)


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